Seismologie Die Tage werden kürzer

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Seismologie Die Tage werden kürzer



Das Ausmaß des Bebens vor der japanischen Küste zeigt sich nicht nur in den Opferzahlen und der Schadenshöhe, es hat auch Auswirkungen auf den gesamten Planeten. Der dreht sich nämlich seitdem nicht nur schneller, sondern hat auch eine Art Achssprung hinter sich, wie die amerikanische Weltraumbehörde Nasa inzwischen bekanntgab.


Die Erde ist keine statische Kugel, die sich von den Ereignissen auf ihr unbeeindruckt zeigt. Im Gegenteil: Sie ist ein lebendiger Planet, der sich ständig verändert – durch Umwelteinflüsse aber auch menschliche Einwirkungen. Ein Beben von der Stärke 8,9 hinterlässt Spuren – und zwar dauerhaft: Fast zweieinhalb Meter hat es Japan nach Westen verschoben und mehr als einen halben Meter nach unten gedrückt. So die Berechnungen von Richard Gross vom Jet Propulsion Laboratory der US-Raumfahrtbehörde Nasa in Pasadena, Kalifornien.

Im selben Augenblick, als sich das Beben ereignete, haben sich die Stöße im Erdreich fortgesetzt, berichtet er. Damit seien die Konsequenzen des Bebens nicht nur für Japan, sondern für den ganzen Planeten spürbar. „Dies lässt sich mathematisch errechnen“, so der amerikanische Geopyhsiker. Es sei wissenschaftlich bekannt, wie die Massen innerhalb der Erde verteilt sind. Die Drehung des Planeten und die Länge seiner Tage änderten sich, wenn seine Massen beeinflusst werden, erklärt er. „Genau das machen Erdbeben“, betont Gross – „sie ändern die Massenverteilung. Und von ihr hängt die Rotation der Erde ab.“

Die Erde dreht sich schneller

Der Stoß von Freitag hat die Erde beschleunigt, sie sozusagen an-gestoßen. Sie dreht sich nun 1,8 Mikrosekunden schneller als vorher. Eine Mikrosekunde ist ein Millionstel einer Sekunde. Dies klingt nach wenig, ist aber beachtlich für einen geologischen Vorgang, der einen ganzen Planeten in Bewegung versetzt. Wie lange ein Beben andauert, wie stark es ist und wo es auftritt – diese drei Faktoren bestimmen die Auswirkungen eines Bebens auf den Planeten. Erdbeben in Äquatornähe wirken sich dabei eher auf die Tageslänge aus als Beben an den Polen.

Versetzt im All

Damit verhält sich der Planet ähnlich einer Eiskunstläuferin, die an Schwung gewinnt, wenn sie ihre Arme nahe an den Körper bringt. Sie beschleunigt ihre Eigendrehung, indem sie ihre Körpermasse eng um ihre Rotationsachse konzentriert. Das Beben muss einen ähnlichen Einfluss auf die Erdmassen gehabt haben. Die Insel Japan wurde etwas tiefer gedrückt und damit näher an das Massezentrum der Erde. Die hat daraufhin Fahrt gewonnen mit der Folge, dass die Tage ein wenig kürzer wurden.

Stärkere Auswirkungen als Chile
Damit nicht genug der globalen Folgen: Auch die Lage der Erde im Weltall ist eine andere als vor dem Beben. Dies liegt daran, dass sich ihr Drehmoment verändert hat. Geologen sprechen von der Figurenachse – der Achse, um die sich die Massen des Planeten bewegen. Da diese nicht gleichmäßig verteilt sind, weicht diese Figurenachse etwa zehn Meter von der Rotationsachse ab. Das Erdbeben in Japan sollte das Drehmoment der Erde um eine Größenordnung verändert haben, die sich nachweisen lässt. „Wir schätzen derzeit, dass die Figurenachse sich um 16 bis 17 Zentimeter verschoben hat“, so Richard Gross. Wenn die Wissenschaftler bei ihren Beobachtungen die Einflüsse der Atmosphäre und der Ozeane auf die Drehung der Erde herausgerechnet haben, dürften sie bald wissen, wie genau das Beben die Erddrehung verändert hat. Denn ändert sich die Figurenachse der Erde, verändert sich auch die Rotationsachse. „Die beiden sind dynamisch miteinander verbunden“, so der Nasa-Forscher.
Klar ist bereits, dass die Folgen des Bebens von Japans stärker sind als die des Erdbebens von Chile im letzten Jahr. Letzteres hatte den Tag nur um etwas mehr als eine Mikrosekunde verkürzt und die Figurenachse der Erde um acht Zentimeter verschoben. Die Auswirkungen des Bebens von Japan sind damit etwa doppelt so stark.


Erdbebenfolgen Der angeblich verrutschte Kontinent


Das Erdbeben von Chile war eines der stärksten je gemessenen. Die Folgen: Städte sind verschoben, die Tage den Bruchteil einer Sekunde kürzer – zumindest behaupten das einige Geoforscher.



Was Concepción betrifft, sind die Wissenschaftler sich einig. Die chilenische Stadt liegt in der Nähe der Stelle, an der das Erdbeben sein Epizentrum hatte – und war am stärksten betroffen. „Concepción hat während des Erdbebens am 27. Februar einen Satz nach Westen gemacht“, sagt Birger Lühr vom Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ). „GPS-Messungen haben gezeigt, dass die Stadt um etwa drei Meter verschoben wurde.“ Das bestätigen die Daten von Wissenschaftlern der Ohio State University und vom Deutschen Geodätischen Forschungsinstitut (DGFI). „Das ist die größte Punktverschiebung, die wir je gemessen haben“, bestätigt Hermann Drewes, Direktor des DGFI.

Noch in einem weiteren Punkt stimmen die Forscher überein: Das Erdbeben von Chile zählt – mit einer Stärke von 8,8 – zu den zehn stärksten Beben, die jemals gemessen wurden. Es hat den ganzen Globus in Eigenschwingung versetzt, was die Wissenschaftler des Deutschen Geodätischen Forschungsinstituts mithilfe komplizierter Technik im Salzbergwerk Berchtesgaden nachweisen konnten.

Erdkruste einmal durchgebrochen
Die schweren Erschütterungen in Chile schlossen räumlich an ein berühmtes Beben im Jahr 1960 an. Damals zitterte die Gegend bei Valdivia, südlich der jetzt betroffenen Region, unter Erdstößen der Magnitude 9,5. Das Valdivia-Beben ging als stärkstes Erdbeben in die Geschichte ein. Beben solcher Ausmaße durchbrechen die gesamte Erdkruste. „Mit Ausnahme eines letzten Abschnitts, der sich im Norden Chiles befindet, ist innerhalb der letzten 150 Jahre die gesamte Erdkruste der Westküste Südamerikas durchgebrochen“, erklärt Jochen Zschau, Leiter der Sektion Erdbebenrisiko und Frühwarnung am GFZ.

Damit ist aber schon Schluss mit eitel Sonnenschein und Übereinstimmung. Was die weiteren Folgen des Erdbebens von Chile betrifft, klaffen die Meinungen der Wissenschaftler auseinander: Concepción, mit 900 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Chiles, ist nicht als einzige von der Verschiebung betroffen, glauben manche der Forscher. Die Hauptstadt Santiago sei um 28 Zentimeter nach Westsüdwest gerutscht, berichteten Wissenschaftler der Ohio State University. Ebenso hätten sich die Städte Valparaiso und Mendoza beträchtlich verschoben, selbst Buenos Aires liege nun zwei Zentimeter weiter westlich als zuvor, erklärte Mike Bevis, Geodäsieprofessor der Ohio State University. Er leitet ein Forschungsprojekt, bei dem Verformungen in den Anden gemessen werden. „Die Daten sind bislang alle vorläufig“, stellt DGFI-Direktor Drewes klar. „Wir haben in der Gegend ebenfalls Messstationen. Wir erkennen eine minimale Bewegung von Mendoza, und keine signifikante von Buenos Aires. Das wäre auch das erste Mal seit Beginn geodätischer Messungen, dass Verschiebungen am anderen Ende des Kontinents festgestellt würden.“ Die endgültigen Daten wird ein globales Netz von GPS–Stationen (IGS) in etwa zwei Wochen liefern. Zum IGS (International Global Navigation Satellite System Service) zählen über 100 Institutionen, das Zentralbüro ist bei der Nasa angesiedelt.

Verschobene Erdachse und kürzere Tage?


Ein Nasa-Wissenschaftler war es auch, der verkündete, dass das Beben die Erdachse um acht Zentimeter verschoben hätte. Außerdem habe es der Erde einen zusätzlichen Drall versetzt: Die vertikale Verschiebung der Gesteinsmassen habe einen Pirouetteneffekt bewirkt, ähnlich einer Eiskunstläuferin, die die Arme anlegt und sich dadurch schneller dreht. Deshalb seien die Tage nun kürzer, errechnete Richard Gross vom Jet Propulsion Laboratory der Nasa. Zwar nur um 1,26 Millionstel Sekunden, aber immerhin. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Beben derartige Auswirkungen hat. Das Sumatra-Beben im Dezember 2004 verkürzte die Tage ebenfalls. Verschiedene Berechnungen kommen zu Ergebnissen zwischen 2,68 und 6,8 Millionstel Sekunden.

Aber, räumt Gross ein, vielleicht müssten seine Berechnungen nach genauerer Auswertung der Daten des Chile-Erdbebens noch korrigiert werden. Dass das der Fall sein wird, glaubt auch der Direktor des Deutschen Geodätischen Forschungsinstituts Hermann Drewes: „Ob die Erdachse sich verschoben hat, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht feststellbar. Entgegen der allgemeinen Vorstellung ist sie ohnehin nicht fix, sie wandert jedes Jahr um bis zu 18 Meter. Unsere Berechnungen jedenfalls bestätigen die acht Zentimeter Verschiebung nicht.“ Die Erde taumelt wie ein schief aufgezogener Brummkreisel, außerdem dreht sie sich ohnehin nicht konstant. Der Mond bremst die Erde, weshalb unsere Tage unmerklich länger werden. Die Atomuhren gewinnen so immer wieder ein wenig Vorsprung gegenüber der tatsächlichen Tageslänge, weshalb hin und wieder in der Silvesternacht Schaltsekunden hinzugefügt werden. Auch abgesehen davon schwankt die Drehgeschwindigkeit unseres Planeten stark: „Winde beeinflussen außerdem, wie schnell die Erde sich dreht“, erklärt Drewes. „Außerdem beeinflusst jede vertikale Massenverschiebungen, selbst das Wachsen der Blätter im Frühling und der Laubfall im Herbst die Rotationsgeschwindigkeit der Erde“, ergänzt Lühr.

Folgt auf das Erdbeben der Vulkanausbruch?


Verschobene Orte, eine vielleicht verrutschte Erdachse und möglicherweise kürzere Tage – das Chile-Beben könnte noch weitere Auswirkungen haben. „Es könnte nun vermehrt zu Vulkanismus kommen“, sagt Birger Lühr vom Geoforschungszentrum Potsdam. „Nach dem stärksten je gemessenen Beben in Chile 1960 brachen in den Anden in den folgenden Monaten und Jahren mehrere Vulkane aus, die vorher über lange Zeit ruhig waren.“ Forscher vermuten einen Zusammenhang zwischen Erdbeben und Vulkanaktivität. „Wenn die Wellen des Bebens durch ein Magmasystem laufen, können sich zum Beispiel Gasbläschen von den Wänden lösen, aufsteigen und so den Druck in Magmareservoiren erhöhen. Das kann dazu führen, dass Vulkane ausbrechen.“


Gruss Gollum


Quelle : Focus Online
 
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