Zum 100. Geburtstag von Stan Lee, dem Vater der Marvel-Superhelden

SteveJ

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Die stärkste Superkraft, da war sich Stan Lee sicher, ist Glück.
Insofern war er wohl auch eine Art Superheld.
Das Glückskind aus Manhattan, in eine arme rumänisch-jüdische Immigrantenfamilie hineingeboren, wurde gegen jede Wahrscheinlichkeit einer der einflussreichsten, vermögendsten und angesehensten Persönlichkeiten der Populärkultur, indem er schlicht immer das getan hat, was ihm Freude bereitete.

Stanley Lieber, wie er eigentlich hieß, hatte schon seit jeher gerne Geschichten in Comicform erzählt.
Seine konservative Familie fand das eher befremdlich, aber bereits als Teenager wurde Lee direkt von der Schulbank weg bei einem Comicverlag engagiert.
Zunächst als Laufbursche und "Tintenfassauffüller", wie er erzählte, aber schnell durfte Lee tatsächlich seine erste eigene Geschichte veröffentlichen.
Aus diesem Anlass entschied er sich für den Künstlernamen Stan Lee – Comics galten als minderwertige und moralisch zweifelhafte Angelegenheit, da wollte er lieber den Namen seiner Familie raushalten.

Stan Lee hat dann nichts weniger als eine Revolution gestartet, deren Folgen jeder, der sich auch nur ansatzweise für Popkultur interessiert, wahrnehmen kann.
Als er anfing, waren Comic-Helden ziemlich langweilig.
Captain America oder Superman konnten dank famoser Superkräfte alle Herausforderungen spielend meistern und waren moralisch integer.

1961 erhielt er von Martin Goodman, Inhaber des maroden Verlags Marvel Comics, den Auftrag, eine Idee des Rivalen DC Comics zu klauen:
DC hatte seine beliebtesten Figuren zu einem Team zusammengeschlossen, der "Justice League of America".
Stan Lee zerbrach sich tagelang den Kopf, bis er vier Figuren erfunden hatte, von denen er fand, dass sie als Team funktionieren würden.
Er nannte sie "Fantastic Four", die Fantastischen Vier.

Die vier fantastischen Helden verhielten sich nicht sehr heldenhaft, sie stritten sich ständig und hatten die Dynamik einer dysfunktionalen Familie.
Diesen Ansatz - Superhelden mit menschlichen Schwächen - machte Lee zur erfolgreichen Marvel-Formel.
Damit veränderte er das US-amerikanische Comicgeschäft für immer.

Lees Helden waren nicht unbezwingbar und hatten trotz ihrer Kräfte Schwächen: :oops:
Spidermans Privatleben ist ziemlich trist und Hulk eher eine Gefahr für sich und andere als ein klassischer Superheld. 😕

Das galt für alle erstaunlichen Schöpfungen von Lee. (y)
Er wollte gute Geschichten erzählen, dafür braucht man interessante Charaktere.
Lee war ein im besten Sinne altmodischer Erzähler, der seine Leser nicht an der Nase herumführen wollte.
Was in seinen Geschichten geschah, erklärte sich völlig stimmig aus den Charakteren und den Umständen, es gab keine nützlichen Zufälle oder andere Tricks.

Gemeinsam mit Steve Ditko erschuf er Spiderman, einen Superhelden, der in Wirklichkeit ein unsicherer Oberschüler ist und sich ohne Maske mit Noten, Liebeskummer und Familienstress herumschlagen muss.
Es folgten der Hulk, ein Wissenschaftler mit Wutproblem, außerdem Thor, ein gehbehinderter Arzt, der zum Gott des Donners wird, sowie Iron Man, ein Millionär mit Todesangst, und schließlich Dr. Strange - ein arroganter Chirurg, der magische Kräfte verliehen bekommt.
Auch die "X-Men", von der breiten Gesellschaft angefeindete Mutanten, hat Lee mit erschaffen.

Lee machte im Alleingang aus dem eher obskuren Marvel-Verlag ein Weltunternehmen, das mittlerweile auch die Filmwelt dominiert.
Die Umsatzgaranten an den Kinokassen sind seit Jahrzehnten Figuren aus dem Marvel-Kosmos:
Iron Man, Justice League, Thor und all die anderen spülen mit ihren Filmabenteuern Milliarden in die Kasse von Marvel.

Stan Lee hatte, natürlich, das Glück zu erleben, wie seine Schöpfungen Kultstatus erlangten und vom eher belächelten Nischenprogramm zu Mainstream wurden.
Als vor drei Jahren das finale Spektakel der Avengers startete, entleibte sich die Kritik regelrecht vor Begeisterung. Für eine Comicverfilmung.
Das wäre in der Zeit, in der Lee seine Helden erfunden hatte, unvorstellbar gewesen.

Ab und an absolvierte er ironische Gastauftritte in den Hochglanzproduktionen der Marvel-Studios. Ihm gefiel der Trubel. 😀
Aber er ließ sich nicht den Kopf verdrehen. Dazu war er zu klug und geerdet.
Es gefiel ihm, klar, aber als ab 2000 der ganz große Hype begann mit X-Men und Spiderman, da ging Lee schon auf die 80 zu und hatte sich im Griff:
"Ich schlafe nicht in Marvel-Pyjamas." ;)

Den Erfolg hat er genossen, aber nie ernst genommen.
Er hatte ein Leben lang redlich seine Arbeit getan, da gab es keinen Grund, im Alter durchzudrehen.
Lee war, anders als seine Antihelden, ein Moralist, der fest daran glaubte, dass man das Richtige tun kann und muss.

Als er 2018 kurz vor seinem 96. Geburtstag starb, verneigten sich Kollegen und Fans in aufrichtiger Anerkennung:
Lee war nicht nur ein großer Künstler, sondern, vielleicht wichtiger, ein großer Mensch. (y)

Heute wäre er 100 geworden.
Ein wahrer Superheld sei, wer seinen Mitmenschen hilft, wenn sie auf Hilfe angewiesen sind, hat er einmal gesagt.
Diese Haltung ist sein wahres Vermächtnis... :)

Quellen: Ippen-Digital, Wikipedia, Tagesspiegel
 
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