Kalte Dusche, heiße Sauna, Schwitzen und Fasten: Wie der Mensch Abwehrkräfte entwickelt

SteveJ

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Als Kinder haben sich die Älteren unter uns – meist erfolglos – gegen den vielgepriesenen eiskalten Wasserguss gesträubt. 🫤
Abhärtung nannten das die Vorfahren. Und damit hatten sie offensichtlich Recht.

Hormesis (griechisch: Anregung, Anstoß) nennt die Wissenschaft dieses mittlerweile erwiesene Phänomen, dass geringe Dosen einer an sich schädlichen bzw. sogar giftigen Substanz, das (Intervall-)Fasten und vor allem auch kurze Stressreize eine positive Wirkung auf die Gesundheit im Sinne der Abhärtung haben können.

"Aber eben nur, solange man es nicht übertreibt“, erklärt der Anti-Aging-Experte Professor Dr. Bernd Kleine-Gunk.
Er ist Gynäkologe und Ernährungsmediziner am Metropol Medical Center Nürnberg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging Medizin (German Society of Anti-Aging Medicine, (GSAAM).

Eine eiskalte Dusche, schweißtreibender Sport oder auch bewusste Mäßigung bei der Ernährung – es kostet viele Menschen große Überwindung, diese ohne Frage gesunden Dinge regelmäßig in den Alltag zu integrieren.
Und auch gesunde Nahrungsmittel wie frisches Gemüse haben es immer noch schwer, sich bei der Essenswahl gegen verarbeitete Lebensmittel durchzusetzen.

Aber warum siegt regelmäßig die Bequemlichkeit über die Vernunft? Während unsere Vorfahren ständig körperlichen Stressreizen ausgesetzt waren, kommen diese im modernen Alltag immer seltener vor: Verkehrsmittel bringen uns ohne Anstrengung überallhin. Heizungen schützen vor Kälte, Klimaanlagen vor Hitze. Und echten Hunger kennen die meisten Menschen in Deutschland überhaupt nicht. Das ist auch der Grund, weshalb Sport, Saunagänge, Eisbäder und Fasten für eine robuste Gesundheit heute so wichtig sind. Sie setzen uns gezielt kleinen Stressreizen aus, die im modernen Alltag meist gänzlich fehlen.

Das heißt nicht, dass sie gesund sind. Ganz im Gegenteil: Sie fügen uns sogar Schaden zu. Die gesunde Wirkung ist die Reaktion des Körpers auf diese Stressreize.
Je nach Stressreiz fallen die Effekte für die Gesundheit unterschiedlich aus.
Zum größten Teil handelt es sich hierbei um biochemische Prozesse, die auf der Zell-Ebene stattfinden - im Fachvokabular Mitohormesis genannt.
Diese Form der Hormesis ist besonders gut erforscht.

Stressreize wie Hitze, Kälte, Überanstrengung, extreme Hungerkuren und Gifte richten massive Schäden an, wenn sie den Körper überfordern.
Darum ist die Psyche evolutionär darauf ausgelegt, aus Selbstschutz genau solche Stressreize zu vermeiden und erzeugt quasi als Sicherheitsnetz sogar noch eine Art instinktiven Schutzreflex – die totale Ablehnung.
Doch Stressreize sind durchaus gesund, wenn der dadurch entstandene Schaden vom Körper aus eigener Kraft nicht nur repariert, sondern überkompensiert wird.
Das heißt: Der Körper heilt und wird in Zukunft robuster auf die ihm nun bereits bekannten Reize reagieren.

Der positive Effekt der Hormesis war übrigens bereits den antiken Griechen bekannt.
Besonders eindrücklich (und wirklich nicht zur Nachahmung empfohlen) nutzen angeblich heute noch buddhistische Shaolin-Mönche in China den Hormesis-Effekt:
Sie schlagen ihre Gliedmaßen solange auf harte Oberflächen, bis es zu Mikrobrüchen im Knochen kommt, die der Körper in den Erholungsphasen mit härterer Knochenmasse ausheilt.
Durch ständige Wiederholung härten die Mönche auf diese Weise ihre Knochen, bis sie stapelweise Ziegel zerschlagen können. :oops:

Bevor Ihr jetzt aber gleich morgen tapfer ins Eisbad springt oder Euch auf neue Sportarten stürzt, um Euch abzuhärten, solltet Ihr Euch vorab beim Hausarzt durchchecken lassen. 👨‍⚕️

Denn eine robuste Gesundheit ist die Voraussetzung für diese Form der Stress-Therapie:
  • Hormesis durch Sport ⛹️‍♂️ 🏋️‍♂️ 🤸‍♂️🏃‍♀️
    Die Hormesis, die bei körperlicher Anstrengung aktiviert wird, spielt sich in den Mitochondrien – den Kraftwerken der Zellen – ab.
    Dabei werden Energie, aber auch Abfallstoffe in Form eines freies Radikals erzeugt, das die Mitochondrien schädigen kann.
    Je mehr sich der Sportler fordert, desto mehr Energie müssen die Zellen produzieren. Dabei entstehen auch mehr Abfallstoffe.
    Und schon setzt sich eine – erwünschte – Kettenreaktion in Gang: Antioxidantien stärken das Immunsystem. ;)

    Es beginnt ein Reinigungs- und Reparaturprogramm, das die Zellen biologisch verjüngt und vor altersbedingten Krankheiten schützt.
    Die Zellen reagieren nun auch empfindlicher auf Insulin, damit sie aufgrund des erhöhten Energiebedarfs leichter Zucker aufnehmen können.
    Das wiederum verlangsamt die Zellalterung und beugt Diabetes Typ 2 vor.
    Die Anzahl der Mitochondrien steigt für mehr Energie und verbessert damit die Kondition. Auch die Körpertemperatur steigt an.
    Die Zellen produzieren Hitzeschockproteine (HSP), die das Immunsystem stärken.

    Eure optimale Belastung durch Sport erkennt Ihr dann, wenn die Leistungsfähigkeit kontinuierlich steigt und Ihr Euch insgesamt fitter fühlt. 💪

  • Hormesis durch Kälte 🥶
    Je öfter der Körper einem gesunden Maß an Kälte ausgesetzt wird, desto häufiger ist er gezwungen, die Körperwärme aus eigener Kraft zu regulieren, um nicht auszukühlen.
    Damit erhöht sich der Energiegrundumsatz des Körpers. Das senkt das Risiko für Diabetes Typ 2.
    Die Konzentration der entzündungshemmenden Fettsäuren steigt, während der Anteil der schädlichen Fettsäuren, die Herzerkrankungen und Diabetes begünstigen, sinkt.

    Bei Kälte verengen sich die Blutgefäße, bei anschließender Wärme weiten sie sich wieder.
    Dieser Effekt hält die Blutgefäße elastisch, senkt den Blutdruck, stärkt das Herzkreislaufsystem und macht hellwach.
    Die Kälte animiert die Zellen, vermehrt körpereigene Antioxidantien zu produzieren.
    Schöner Nebeneffekt: Der Körper gewöhnt sich an den Stressreiz und wird unempfindlicher gegen Kälte. :)

  • Hormesis durch Hitze 🥵
    Eine höhere Körpertemperatur – zum Beispiel beim Saunabesuch und auch bei schweißtreibenden Sportarten sowie bei Fieber – stimuliert in den Zellen die Produktion von Antioxidantien und Hitzeschockproteinen (HSP).
    Beides stärkt das Immunsystem. Besonders effektiv für die Gesundheit ist der schnelle Wechsel zwischen heiß und kalt, der zudem entzündungshemmend wirkt.
    Der Mensch wird unempfindlicher gegen Temperaturschwankungen und kann sowohl Hitze als auch Kälte besser vertragen.

  • Hormesis durch Gifte 🍫 🧅🍏🍇 🥦🌶️
    Gemüse und Obst enthalten neben gesunden Nährstoffen, Vitaminen, Mineralien und Ballaststoffen auch sekundäre Pflanzenstoffe.

    Bei diesen Stoffen handelt es sich um Schärfe-, Farb- und Bitterstoffe.
    Anders gesagt: Gifte, mit denen sich Pflanzen vor Fressfeinden und Umwelteinflüssen wie UV-Strahlung, Hitze und Kälte schützen.

    Bekannte sekundäre Pflanzenstoffe sind z. B. Resveratrol in roten Weintrauben, Curcumin in Kurkuma, Querzetin in der Apfelschale und Zwiebeln und Epigallocatechin-Gallat in Grüntee.
    Capsaicin steckt in Chili-Schoten, Sulforaphan in Brokkoli und auch die Flavonoide in schwarzer Schokolade gehören dazu.

    Sekundäre Pflanzenstoffe sind für menschliche Zellen grundsätzlich Gift und setzen Zellen unter Stress.
    Mit dem positiven Effekt, dass Sirtuine aktiviert werden – Enzyme, die in den Zellen DNA-Schäden reparieren und die Zellverjüngung anregen.

  • Hormesis durch Fasten
    "Fasten ist das beste Beispiel für Hormesis überhaupt. Denn Hungerphasen – ebenfalls ein Stressmoment für den Körper – zwingen den Organismus in den Reparaturmodus“, erklärt Prof. Dr. Bernd Kleine-Gunk.
    Die bekanntesten Effekte sind die Verjüngung der Zellen und die intensive Fettverbrennung.
    Beides geht direkt auf Hungerstress zurück, da der Körper keine Energie mehr von außen bekommt.
    "Damit ist der Körper dazu gezwungen, auf eigene Reserven zurückzugreifen.“

    Kann der Körper nicht mehr Kohlenhydrate als Energiequelle verwenden, beginnt er, Ketone zu bilden.
    Diese Enzyme wandeln Fettreserven in nutzbare Energie um. So wird intensiv Fett abgebaut.
    Bekommt der Körper über die Nahrung auch keine Proteine mehr, wechseln die Zellen in den Selbstreinigungs-Modus – die sogenannte Autophagie.
    Auf diese Weise gewinnt die Zelle die fehlenden Proteine aus den molekularen Abfallstoffen. So werden die Zellen jünger und stressresistenter.

Das Fazit:
Stress an sich ist nicht ungesund. Lediglich ein Zuviel an Stress wirkt toxisch.
In moderater Form dagegen ist Stress ein Stimulans, das uns gesünder, fitter und widerstandsfähiger macht.
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Ich persönlich gehe seit einiger Zeit regelmäßig in die Sauna.
Seit ich das mache bin ich (zumindest gefühlt) wirklich seltener krank. 🤧

Quellen: Ippen-Digital, Deutschlandfunk, Wikipedia
 
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